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Interessantes zum Baum:

Achse der Gemeinschaft

Wo wir uns finden ...

Das waren noch Zeiten. Kurfürst Friedrich Wilhelm ließ 1647 eine sechsreihige Allee pflanzen. Aus tausend Linden und tausend Walnusssbäumen, als Reitweg zwischen Stadtschloss und Tiergarten. "Unter den Linden" blieb solcher Reitweg bis zum Ende des 18ten Jahrhunderts, die ganze Zeit unbefestigt und nur von Barrieren aus Holz eingefriedet. Inzwischen wuchsen dort allerdings auch andere Bäume. Dann nahm sich Karl Friedrich Schinkel des städtischen Gebüsches an und machte daraus die Prachtallee, seitdem mit einer vierreihigen Lindenbepflanzung. 1935 mussten für die unterirdische Stadtbahn die meisten Bäume weichen. Für Olympia 1936 wurde allerdings wieder aufgerüstet. Mit den aus Vorderasien stammenden Silberlinden übrigens. Tabula rasa machte noch einmal der WKII, aber schon bald gab es "Unter den Linden" wieder Silberlinden, die bis heute nachgepflanzt werden. So eine Linde hat schon was, aber eigentlich ist damit die Geschichte dieses Baums, der uns so lange Zeit begleitet hat, zumindest als Schmuck der Wohnplätze der Menschen schon fast zu Ende. Warum? Weil wir der Linde ganz langsam aber sicher den Garaus machen.

LindenblätterDas Blatt der Linde ist charakteristisch schief herzförmig und bei den Sommer- und Winterlinden lindgrün. Blatt und Blüte reichlich produzieren Linden unabhängig, solange sie gesund sind.

Menschen und Linden haben einen langen gemeinsamen Weg hinter sich, der sich im Dunkel der Mythen und Religionen verliert. Nur der Nachklang dieser alten Symbiose manifestiert sich noch hie und da in Dorfmitten oder an Wegkreuzungen zu findenden Thie- oder Thinglinden, Marienlinden, Ehrenlinden, Tanzlinden. Der Brauch, Linden als Ort der Versammlung zu nutzen, stammt noch aus heidnischen Tagen, als die Linde der Göttin des Frühlings und des Lebens geweiht war und Gelingen verprach für schwierige Verhandlung mit Freund, Nachbar und Feind. Der mächtige Götterbaum am Platz des Things oder des Thies sollte Garant für Findung der Wahrheit sein und die Lüge enttarnen. Linde stimmte wohl die Harten weich. Jedenfalls machte ein Blatt des Baums den drachenfesten Siegfried an einer Stelle zwischen seinen Schultern höchst und mit Todesfolge verletzlich.

LindenalleeEine typische Lindenallee entlang einer Straße, wie man sie im Havelland findet. Es ist ein Genuss auf solchen Wegen zu reisen, besonders in der Sommerhitze, wenn die Linden ein kühles Lüftchen und Schatten spenden. Viele solcher Alleen gibt es in Mitteldeutschland, in dem weite Wege die Städte in dünn besiedeltem Land verbinden.

Einfach nett

Davon abgesehen ist die Linde ganz einfach ein freundlicher, linder Baum, der nährt und schützt und nebenbei auch noch ein bisschen heilen kann. Wer kennt nicht den lieblichen Duft blühender Linden, hat nicht zumindest schon von Lindenblütentee gehört, auch wenn er ihn noch nicht getrunken hat. Das Lindenlaub ist licht und lässt den Menschen unter seiner Krone heiter sein, lässt Sonnenschein bis auf den Boden gelangen. Es wundert nicht, dass Linden häufig an den Orten gepflanzt wurden, wo Menschen gern sind, in Parks und Gärten, Alleen und an Hecken. Von den Gerichtslinden haben wir schon gesprochen, über die Gedenklinden braucht man nichts zu sagen, sie sind hübsch und außerdem recht billig zu haben im Vergleich zu einem Stein der Erinnerung an jemanden oder etwas, der oder das nicht vergessen werden sollte. Für Dichter oder Denker oder Religionenstifter, einen Friedenschluss. Oder auch einen Kaiser. Dann gab es einfach ein paar mehr davon und das freute dann auch die Untertanen, die sich darunter verlustieren konnten. Wohl des Verlustierens wegen gibt es aber keine Gedenklinden für Militärs, die bevorzugten immer die ernstere Eiche.

Ich glaube, ich tanz im Wald

Und dann gab oder gibt es da noch recht kuriose Linden, nämlich die Tanzlinden. Dabei handelt es sich nicht um tanzende Bäume, die eine botanische Sensation wären, sondern um solche, in deren Krone ein Tanzboden in luftiger Höhe eingerichtet wurde und der damit zum Zentrum einer lind behüteten Tanzveranstaltung werden konnte. Eine Renaissance erlebte der wohl aus dem 16ten Jahrhundert stammende Brauch, eine Linde dermaßen zuzurichten, in der Zeit der Empfindsamkeit, nämlich der Romantik und ihrer schmusigen Ausprägung als Biedermeier und da vor allem in Oberfranken und Thüringen oder Hessen, südlich von Kassel, teils auch im Würtembergischen. Dörfliches und familiäres Leben waren bei Anhängern des Gemüts das Höchste und Rückbesinnung auf alte Traditionen ihr Mittel zur Gemütlichkeit. Manche Tanzlinden kann man als Kulturdenkmale noch heute sehen, etliche sind wiederhergestellt oder sogar erneuert, sprich neu gepflanzt worden.

FriedhofslindenReste der Heiligkeit des Lindenbaums, seine friedliche Erscheinung spiegelt sich in der Pflanzung auf Friedhöfen wider. Lindenallen, die abgeschritten werden können, sind beste Wege für Prozessionen und Leichenzüge.
LandstraßeAn wenig befahrenen Landstraßen haben Linden meistens ein gutes Leben mit guter Luft. Obwohl es etliche Alternativen wie z. B. Bergahorn oder Robinien gibt, wird die Silberlinde an Straßensäumen immer noch gerne gesetzt. Sieht ja auch hübsch aus.

Die Beschreibung der Tanzlinde von Peesten von 1858 gibt einen guten Eindruck, wie eine solche Tanzlinde in fester und dauerhafter Installation aussehen kann: "Auf den weithin ausgebreiteten Ästen befindet sich ein 87 m² großer Baumsaal, zu dem man auf einer 22 Stufen zählenden steinernen Wendeltreppe mit eisernem Geländer hinaufsteigt. Der Boden dieses Lindensaals ist mit Dielen von Eichenholz belegt und die Umfassungswände sind ebenfalls aus grün gestrichenem Eichenholz, an welchem sich die Äste des Baums hinziehen und eine dichte Laubwand bilden. In den Baumsaal führt eine breite Tür. Aus 11 Fensteröffnungen [...] genießt man freie Aussicht in die sehr anmutige Umgebung und das Maintal. Der künstliche Bau ruht, sofern er nicht vom Baum selbst getragen wird, auf 12 am äußersten Rande stehenden steineren Säulen. Die Höhe des Saals vom Boden bis zur Decke beträgt 2,10 m [...]. Der Durchmesser des Baums ist 1,20 m." [f] Übrigens dienten die Tanzbäume nicht allein schnöder Vergnügungssucht, sondern hatten noch einen Zweck. Lindenbast ist ein seit Urzeiten beliebtes Material für Schnüre und Geflechte organischen Materials. Die Linden wurden "geleitet", um den Baum für die Gewinnung des Basts in Form zu bringen. Dass man in diesen Linden auch noch tanzen konnte, war vermutlich ein netter Nebeneffekt, den man zufällig entdeckte.

Alt wie ein Baum

Linden können sehr alt werden, 1000 Jahre und mehr. 700- oder 800-jährige Gedenk-Linden finden öfter Erwähnung. So wird verständlicher, warum solche Bäume Sammlungspunkte der Menschen über Generationen hinweg wurden. In Schenklengsfeld, südlich von Kassel gibt es eine alte Sommerlinde, der Forscher ein Alter von 1200 Jahren bescheinigt haben. Diese Linde hat schon keinen Stamm mehr, sondern besteht aus vieren ihrer Seitentriebe. Der Legende nach soll der Baum im Jahre 760 zu Ehren des Ritters Sankt Georg gesetzt worden sein. Nichtdestotrotz blüht das alte Mädchen noch jedes Frühjahr wieder, ist Treffpunkt für Menschen und Tausende Hummeln und Bienen, die ihren Nektar sammeln. Bis weit ins 19te Jahrhundert war die Schenklengsfelder Linde Ort von Gericht, Jahrmarkt und Tanz.

Eine andere alte, ebenfalls tausendjährige Linde findet man in Upstedt nahe Hildesheim im südlichen Niedersachsen. Man findet den Baum mitten im Dorf, am Versammlungsplatz, dem Thie. Die Pflanzung der Linde dort markiert wahrscheinlich die Einführung des Christentums im 11ten Jahrhundert. So handelt es sich um eine Marienlinde, gepflanzt zu Ehren der Mutter Maria in der Nähe der Kirche und urkundlich erwähnt das erste Mal um 1100. Auch diese alte Linde besteht inzwischen aus mehr Blättern als Stamm, der hohl ist wie ein Zahn. Der Baum hätte fast nicht überlebt, dass Kinder vor 100 Jahren in seinem Stamm ein Feuer machten, das die Feuerwehr gerade noch löschen konnte. Ein Sturm riss 1973 alle Äste herunter, aber schon im Jahr darauf trieb die Unverwüstliche wieder aus. Für Upstedt ist die Linde Wahrzeichen und Mittelpunkt des Dorfs und auch Zier des Ortswappens.

Upstedter LindeDie tausendjährige Linde von Upstedt steht, wie es sich gehört, mitten im Dorf am Thie. Ein Thie war früher etwas Ähnliches wie ein Thing, nur eben regionaler und kleiner. Die Linde markierte also den dörflichen Gerichtsplatz und sollte als der neuen Frühlingsgöttin Maria, Mutter Gottes geweihter Baum die Wahrheit befördern. Was in der vorhandenen Auflösung vielleicht nur zu ahnen ist: Die alte Linde ist mit zehntausenden von Blüten bedeckt. Ewige Jugend ist ein Geheimnis, das die Linden geknackt zu haben scheinen.
InnenwurzelnAlte Linden werden regelmäßig hohl. Dann wachsen oft von den Hauptästen Wurzeln im Inneren des Stamms zur Erde und werden zu mehreren Partialstämmen, die die Krone weiterhin zuverlässig tragen. Oft sehen die Innenwurzeln wie Krampfadern aus. Die Upstedter Linde ist eben eine alte Dame.

Zumindest teilweise scheint die Linde ihre Fähigkeit, ein hohes Alter zu erreichen, dem Charakter und der Strategie ihres Wachstums zu verdanken. Eine Linde durchläuft nämlich während ihres langen Lebens verschiedene Phasen, die sich durchaus in ihrer Gestalt niederschlagen. So nimmt ihr Stammdurchmesser, der bis zu 2 Metern betragen kann, zwar regelmäßig zu, aber ebenso regelmäßig haben alte Linden einen hohlen Stamm, dessen Inneres sich vom Zentrum aus zersetzt hat. Manchmal wachsen aus den großen Kronästen dann sogenannte Innenwurzeln (weil im hohlen Stamm nach unten in den Boden wachsend), die oft neue Stämme oder Teilstämme bilden. Der erst einbeinige Baum hat dann derer viele und sie stützen die mächtige Krone so gut, wie es der alte eine konnte. Überraschend dabei ist auch die bleibende Vitalität des Lindenaltholzes, das bis ins hohe Alter des Baums an der Basis immer wieder neue Schosse treiben kann. Die Gestalt der alten Linde wird immer skuriller, aber im Herzen ist der Baum stets noch grün und in gewissem Sinne ewig jung. Wenn das nicht heilig ist, was ist es dann?

Auch das Wurzelsystem ändert sich bei Linden zeitlebens. Hat eine junge Linde noch eine Pfahlwurzel, die in die Tiefe strebt, wandelt die sich schon recht bald zu einem reich verzweigten System von Seitenwurzeln, die sich bis zu einer Tiefe von etwa 2 Metern eingraben. Sie bilden den Grundstock für ein Herzwurzelsystem, das sich immer nah am Stamm hält und dort unregelmäßig, dem geringsten Widerstand nachgebend wurzelt, wohin es kann. Dieses besondere Wurzelwerk, das sogar lockere und schutthaltige Böden zusammenhalten kann, ist auch der Ursprung immer neuer Sprosse im Stammbereich. In dieser Hinsicht ist die Linde einer Staude ähnlicher als einem Baum.

Auch nur Malven

Die Linde oder die Linden, denn es gibt ihrer mehrere, sind Angehörige der Familie der Lindengewächse, die ihrerseits eine Unterordnung der Malvenartigen oder Malvenblütigen ist. In der Tat kann man Ähnlichkeiten zwischen den bunt blühenden Malven und den Linden finden. Auch die Linde blüht vergleichsweise farbenfroh und üppig, ihre Blüten sind aufgebaut wie die der Malven. Auch Linden bilden Schleim, wofür ebenfalls die Malven gut bekannt sind. Man denke an die pâte de guimauve (die ursprünglichen Marsh Mallows), die aus dem Schleim der Sumpfmalve gemacht werden.

MalveEin genauer Blick offenbart die Verwandtschaft der Linde mit den Malven. Die Baumblüten sind richtige Blumen und produzieren reichlich Nektar, den die Sammlerinsekten mit Kusshand nehmen.
SilberlindeDie aus dem Balkangebiet stammende Silberlinde ist widerstandsfähiger als Sommer- oder Winterlinde und wird deshalb gerne in der Stadt gepflanzt. Charakteristisch ist ihr die pyramidale Form.
LindenalleeEine weitere Lindenallee auf dem "Jerusalems- und Neue Kirche Friedhof" in der Zossener Straße in Berlin-Kreuzberg.

Die Familie der Lindengewächse, botanisch Tilia, umfasst 50 Arten meist sommergrüner Gehölze in der Alten und Neuen Welt in den nördlichen gemäßigten Zonen, aber auch nach Süden etwa bis Mexiko beziehungsweise Indochina reichend. Die meisten Arten findet man in Ostasien. Fünf in Europa. Aus der Schule kennen wir sicherlich Sommer- und Winterlinde und wissen, dass erstere größere Blätter hat und letztere später blüht. Allerdings findet man beide in unseren Städten selten, sie ertragen nicht die Luft, die uns immer umgibt. Deswegen haben die Stadtgartenämter in die Häuser- und Straßenwüsten die Silberlinden gepflanzt. Anders als die beiden anderen verträgt die aus Südosteuropa und Kleinasien stammende Linde sowohl Trockenheit als auch kalkige Böden recht gut. Sie wächst außerdem schneller als ihre Kusinen und empfiehlt sich durch ihren weniger ausladenden Pyramidenwuchs für eine Besetzung dicht an dicht etwa von Alleen.

Dass Linden alt werden können, haben wir schon erfahren. Sie werden auch groß und bilden dann mit ihrer runden, voluminösen Krone eine majestätische Erscheinung. Mit 40 Metern wird die Sommerlinde am höchsten, die Winterlinde bleibt etwas kleiner und wird "nur" 25 bis 30 Meter hoch. Etwa die gleiche Höhe erreicht die Silberlinde, deren Krone aber wie schon erwähnt nicht wie die anderen rund oder umgekehrt herzförmig, sondern spindelförmiger, pyramidal genannt wird. Wo man die Silberlinde von den beiden anderen dadurch noch unterscheiden kann, wird es bei Sommer- und Winterlinde schwerer. An der Größe kann man sie natürlich kaum unterscheiden, es kann ja einer der Bäume jünger oder zufällig kleiner sein. Hier hilft ein Blick auf Blätter und Blüten. Reicht das nicht, macht Anfassen den Unterschied. Grundsätzlich sind die Blätter von Sommer- und Winterlinde von sehr ähnlicher Farbe und Struktur, beide sind schief herzförmig und am Rand gleichmäßig gesägt, allerdings ist das Blatt der Winterlinde zwischen 3 und 10 cm groß mit quadratischem Maß, das der Sommerlinde länglicher und um ein Drittel größer, nämlich bis 15 cm lang und 12 cm breit. Und eine Berührung des samtigen Flaums, der die Unterseite von Lindenblättern bedeckt, zeigt, dass Sommerlindenblätter viel schmusiger sind als die von ihrer Winterschwester. Man merkt es auch an der Blütezeit. Die Sommerlinde blüht bereits im Juni als erste von allen Lindenarten hierzulande, später im Juli folgt die sprödere Schwester. Die Flugnüsse beider wiederum kommen zur gleichen Zeit im September zur Reife. Warum heißt denn die Winterlinde überhaupt Winterlinde? Sie wächst ja wohl nicht im Winter und die Sommerlinde doch wohl nicht nur im Sommer, oder? Stimmt, die volkstümlichen Bezeichnungen führen vielleicht in die Irre. Man kann aber sagen, dass die Winterlinde noch sehr viel höher und nördlicher gedeihen kann als die Sommerlinde. Es gibt übrigens noch eine "Holländische Linde", die vor der Winter- und nach der Sommerlinde blüht. Diese Art ist nichts weniger oder mehr als ein natürlicher Bastard der beiden schon genannten Linden und sieht beiden ähnlich. Die Silberlinde blüht als letzte im Jahr, vier Wochen nach der Sommer- und sechs nach der Winterlinde. Ihre Blätter sehen denen der beiden anderen auch nur entfernt ähnlich und unterscheiden sich insbesondere im Ton der Blätter, die sehr dunkelgrün anstatt von lindgrün sind, und des Filzes der Blattunterseite. Der ist nämlich, der Name deutet es schon an, silberfarben oder weiß.

BorkeUntersucht man ein Stück Lindenborke, kann man auf der Innenseite faserige Strukturen finden. Diese Fasern sind nicht mehr verwendbar, jedoch haben die Menschen früherer Zeiten aus den frischen Fasern der Linde Schnüre, Seile, Matten und Kleider gemacht. Lindenbast war ein beliebtes, haltbares und begehrtes Material.

Bock und Gärtner

Wo Kult und Verehrung ist, ist meistens auch Nutznießung. Das ist auch bei den Linden so. Woher der Name Linde stammt, ist nicht zu rekonstruieren, möglich dass er mit lind wie sanft und weich zusammenhängt und den Charakter der vom Baum gewonnenen Materialien beschreibt. Der botanische Name Tilia aber, der seine Entsprechung in anderen Sprachen wie etwa französisch Tilleul hat, leitet sich vom griechischen Tilos ab, was Faser bedeutet. Und in der Tat wurden von Linden seit Menschengedenken die Fasern aus dem Bast gewonnen. Schon die Pfahlbauern verstanden es, aus Lindenbast Kleidung, Betten, Taschen und Matten herzustellen. Außerdem nutzten die Menschen der Steinzeit Schnüre und Seile aus Lindenfasern für allerlei lose Verbindungen. Lindenbast wurde eigentlich bis in vorkoloniale Zeit überall in Europa benutzt, bevor es billigere Faserstoffe auf dem Markt gab. Die Tanzlinden, die wir weiter oben besprochen haben, sind die Zeugnisse der Bastgewinnung von den Linden.

BlütenknospenDie Läuse lieben Linden und scheiden beim Nuckeln Zuckersaft aus, der auf Blättern und Zweigen klebt. Süßer Nektar ist bei der Linde also nicht nur aus den Blüten zu holen. Selbst vor der Blüte kann Zuckersaft von der Linde gesammelt werden. Lindenhonig enthält außer Blütennektar zum Teil auch solchen Zucker, den die Läuse ausgeschieden haben.
AbendduftAm späten Nachmittag und Abend duften Lindenblüten am stärksten und ihr Nektar erreicht auch erst zu dieser Tageszeit sein Maximum an Zuckergehalt, der bis 80 Prozent gehen kann. Das nennt man dann zu Recht Feierabend.
NussIm September sind die Lindennüsse reif. Sie sind bei der Sommerlinde etwas größer, bei der Winterlinde etwas kleiner und mit einem Rotationsfallschirm versehen, der sie je nach Fallhöhe mehr oder weniger weit weg vom Elternbaum tragen kann.

Lindenbast wird wie anderer Rindenbast gewonnen, indem man im Mai von jungen Trieben und Schösslingen die Rinde schält, davon die weiche Innenseite ablöst und die dann mehrere Wochen lang in Wasser liegend rotten lässt, bis sich der Bast davon löst. Die Bastschicht ist ein weiches, faseriges Gewebe, das im Innern des Baums Nährstoffe leitet und zwischen Borke und Kambium liegt. Auch das Holz der Linde wurde (und wird) genutzt. Es ist ein weiches, geschmeidiges Material, aus dem man Bilder hauen kann und viele sakrale Plastiken aus dem Mittelalter sind aus dem Lindenholz geschnitzt. In diesem Zusammenhang sind Tilman Riemenschneider und Veit Stoß aus der Schule der Spätgotik zu nennen. Linde wählte man nicht nur wegen guter Verarbeitbarkeit sondern auch wegen der Heiligkeit des Baums, die sich auf das Bild übertragen sollte. Was das Lindenholz als Bau- und Konstruktionsholz unbrauchbar macht, seine Weichheit und Mehligkeit, die von hohen Anteilen an Stärke und Eiweißen herrührt, machte es wertvoll in Notzeiten, weil man es gemahlen dem Vieh zu fressen geben konnte. Aus dem selben Grund finden Lindenholz aber auch die Holzwürmer lecker, kaum eine Heiligenfigur wurde nicht einmal vom Käfer befallen und mit Löchern verziert.

Nicht zu vergessen ist die duftige Blüte der Linden, die sehr reichlich Nektar an Haaren am Grunde der Kelchblätter absondert. Stoßzeit der Nektarproduktion ist dabei gegen Abend zwischen 16 und 18 Uhr. Genau dann enthält der Nektar einen Zuckergehalt von maximalen 80 Prozent, wo er morgens bloß 16 bis 27 Prozent beträgt. Es ist klar, wann Bienen, Hummeln und Schwebfliegen den Baum bestürmen. Man riecht den Zeitpunkt sogar, abends duften blühende Linden besonders verführerisch. Die gesammelte Blüte wird für den bekannten Lindenblütentee mit therapeutischer Wirkung verwendet. Die Wirkung des Tees wird mit schweißtreibend und blutreinigend beschrieben. Man kann Lindentee aber auch bei Husten, Erkältungen und Unterkühlung gebrauchen.

Ein bisschen Fliegen

Bekannt sind die Samenstände, die Nüsse der Linden, bei denen ein oder mehrere Nüsse unter einem Rotationsfallschirm befestigt sind. Die Absicht des Flugapparats scheint es zu sein, den oder die Samen zum einen sanft zu Boden und zum anderen etwas vom Elternbaum wegzugeleiten. Die Distanz kann beträchtlich sein, je höher der Same am Baum hängt und je stärker der Wind in das Geschehen eingreift.

HerbstlaubIm Herbst bekommen Linden goldenes Laub. Die Fliege nimmt sicherlich weniger ein Sonnenbad, als dass sie restlichen Zucker von den Herbstblättern lutscht.

Noch

Noch ist vor allem die widerstandsfähigere Silberlinde ein verbreiteter Baum in den Städten der Menschen, besonders in Parks und in den vielerort zu findenden Lindenalleen. Doch Stadtleben ist für Linden ziemlicher Stress. Die Bäume lieben und brauchen reine Luft, die sie in den Städten zumeist nicht finden und so unter ständiger Atemnot leiden. Und dann gibt es da noch Schwermetalle aus den Auspuffrohren, Hundepipi und Streusalz, die den Bäumen zusätzlich zu schaffen machen. Es ist so, dass die Linden aus den Städten verschwinden. Meistens werden sie von Exoten wie Blasenesche, Ginkgo oder Apfeldorn ersetzt. Die halten viel mehr, wenn auch nicht alles aus.

Manchem mag das Verschwinden der Linde an der Straße sogar gefallen. Immerhin muss man im Herbst das matschige Laub fegen und der klebrige Tau, der von den Linden auf den Autolack tropft, zerstört den Glanz nachhaltig. Es sind die Ausscheidungen der Läuse auf den Linden, die in warmen Sommernächten herunterregnen. Der Zuckersaft im Verein mit schwarzen Rußtaupilzen überzieht Glas und Lack der Fahrzeuge mit einer klebrigen Schicht, die Staub wie ein Magnet anzieht.

Die Dorflinde, die Gerichtslinde, sie sind das Bild einer Gemeinschaft mit Mitte. Der Lindenbaum ist lange eine Achse des Menschseins gewesen, durch Nutzen wie durch kulturstiftende Heiligkeit. Aber wir glauben ja auch nicht mehr an den Weihnachtmann, oder?

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Quellen und Wissenswertes:

In Büchern zu Linde, Lindenholz:

[1] Artikel zu Winter-Linde, Sommer-Linde, Silber-Linde in: Ulrich Hecker, Bäume und Sträucher. München 2006, S. 260 bis 267

[2] Artikel Linde (Sommerlinde) in: Renato Strassmann, Baumheilkunde. Heilkraft, Mythos und Magie der Bäume. Müchchen 2008, S. 257 bis 265

[3] Hartmut Krohn, Chorgestühl und Schnitzaltar. Die spätgotische Bildhauerkunst nördlich der Alpen im 15. Jahrhundert. In: Brockhaus Kunst und Kultur Band 3, 436-443

Im Web zu Linde:

[a] wikipedia: Artikel zu Linden link

[b] Jan Albert Rispens, Die Linde – Baum des Menschen. Veröffentlicht in: Der Merkurstab. Zeitschrift für Anthroposophische Medizin. Heft 5 2006. Die pdf-Version des Lindenartikel gibt es auf der Site von anthrobotanik.eu , und direkt zur pdf: link

[c] wikipedia: Artikel zu Kaiserlinde link

[d] wikipedia: Artikel zu Tanzlinde link

[e] Hans-Jürgen Wegener, Die Leedener Tanzlinde. Beitrag auf Holzroute.de: link

[f] Site des Förderkreises Tanzlinde Peesten link

[g] wikipedia: Artikel zu Linde in Schenklengsfeld link

[h] wikipedia: Artikel zu Dicke Linde (Upstedter Linde) link

[i] wikipedia: Artikel zu Gerichtslinde link

[j] Andrea Polle (Hg.), Im Reich der Bäume. Winterlinde und Sommerlinde. Umfangreiche und informative Site des Forstbotanischen Gartens und Pflanzengeographischen Arboretums der Universität Göttingen link

[k] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt der Stadt Berlin, Unter den Linden link

[l] Deutsches Tanzlindenmuseum Limmersdorf. Informative Site zur deutschen Tanzlindenkultur. Interessante Routenplanung für Tanzlindenfreunde. link

[m] Europäisches Tanzlindenprojekt «TILLEULS À DANSER»® link

[n] fr wikipedia: Artikel zu Tilia link

[o] Le Tilleul des Baronnies link

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