Interessantes zum Baum:
Fast rund wie eine Kugel ist sie und leuchtet in ihrem ganz eigenen Grün vor dem Februarlicht, hoch oben in den Wipfeln von Pappel und Silberahorn. Ein Baum der Lüfte ist sie, filigran und künstlerisch geformt und ebenso immer wieder inspirierend. Sie berührt den Boden nur, sobald sie stirbt. Wahrscheinlich tut sie noch viel mehr, von dem wir gar nichts wissen und wissen sollen.
Fast quittengelb ist sie im kalten Januar, trägt schimmernde Perlen als Frucht. Und ist nicht zuletzt deswegen beliebt bei hungrigen Vögeln.
Nun im März kehrt ihr Grün zurück. Wahrscheinlich kann sie die Kraft der Sonne wieder nutzen.
Bald werden die Bäume, in deren Höhen sie lebt, auch wieder Blattwerk treiben und dann ist sie kaum noch zu sehen im grünen Schatten.
Schau sie jetzt an. Sie ist so fremd. Ist sie von dieser Welt, gar eine Brut der Nacht, wie die Alten früher sagten? Sieh ihre Frucht, ist wie ein Mond so rund und hell. Ist der gar ihr Lebensquell und nicht das Gestirn des hellen Tags?
Zugegeben, schwülstig solche Worte. Doch die Mistel bleibt geheimnisvoll.
Ihr Name allerdings — weder der „volkstümliche“ noch der botanische — hat wenig Bezauberndes. Mistel leitet sich sehr wahrscheinlich wirklich von Mist ab (aus westgermanisch Maisch) und illustriert, wie die Himmelspflanze auf den Ast dort oben kommt: Durch einen Vogeldreck. Die hungrigen Vögel, allen voran die Misteldrossel, verschlingen im kalten und an Nahrung armen Winter die Beeren, wobei der Same - wie so oft bei Beeren unverdaulich - mitsamt eines schwarzweißen Kleckses auf dem Ast landet und da kleben bleibt. Er ist so adhäsiv ausgerüstet, dazu gleich mehr.
Der botanische Name thematisiert die Verbreitung eher indirekt. Viscum, wie die weiße Mistel ohne Zusatz heißt, deutet auf die Verwendbarkeit des Fruchtschleims der Beeren zur Herstellung von Vogelleim, allerdings aus denen der gelbbeerigen Riemenmistel Loranthu europaeus. Kuddelmuddel in Nomenclatura irgendwie. [2, 418 f.]
Der Schleim macht Sinn, denn nicht alle Vögel schlucken perlengroße Beeren wie die der Mistel heil über. Insbesondere kleinere Vögel mit entsprechend kleineren Schnäbeln verspeisen nur das Innere der Frucht und versuchen, den darin eingebetteten Samen zu vermeiden. Sie versuchen es und müssen den ach so anhänglichen Kern am Ast des Baumes vom Schnabel abstreifen. Da backt er ob seiner Klebrigkeit dauerhaft fest.
Mit Geduld und viel Spucke, das sei die Tugend der Mistel: Bei ausreichend Licht und Luftfeuchte dauert es nun bald Jahr und Tag, bald länger. Der Kleber muss da schon gut halten. Und dann entwickelt der Same eine Haftscheibe wie einen Saugfuß am Ende eines Tentakels in Mistelgrün, der sich fest an die Rinde des beherbergenden Baums schmiegt. In dieser Phase sieht die junge Mistel unmissverständlich wie eine Außerirdische aus. Nur vorwitzige Stielaugen könnten das Bild vollständiger machen.
Es ist nicht klar, ob der Wirtsbaum um Erlaubnis gefragt wurde. Aber immerhin scheinen einige Baumarten sich dem zudringlichen Gast erfolgreich verweigern zu können. Sie werden so gut wie nie, manche wirklich nie besiedelt. Aber sonst: Aus dem Sauger heraus entwickelt sich ein kleiner bohrender Keil (der Senker), der sich durch die Rinde in das Holz des beherbergenden Baums einsenkt. Sobald dieser Senker das Xylem erreicht, entfaltet die Mistel ihr erstes Paar Blätter.
Seltsam auch diese, haben weder Ober- noch Unterseite. Anders als andere Blattpflanzen richtet die Mistel ihre Blätter nämlich auch nicht nach dem Licht aus. [2 u. 4] Die Sonnenkraft, die sie durchaus einsaugt und mit deren Energie sie durch das eigene Chlorophyll auch Zucker erzeugen kann, empfängt sie ganz passiv. Sie steht da und nimmt, was ihr gegeben wird.
Also wächst die Mistel immer grün, sie nimmt vom Baum, wovon er genug hat, insbesondere, wenn der in Nähe eines Wassers steht, viel Wasser und Salze. Den Rest, die Assimilation übernimmt sie, wie gesagt, dann selbst. Und wächst dann nie zur Sonne hin (auch bereits gesagt) und immer kugelrund der Busch bis 1 m im Querschnitt.
Was Frucht will tragen, muss Blüte einst haben. Auch die Mistel. Obwohl man die mit der Lupe suchen muss. Wenn man denn auf den Baum hinauf kommt. Zweihäusig ist die Mistel und hat also entweder männliche oder weibliche Blüte, nur wenige Millimeter groß in den Gabelungen der Ästchen. Gelb sind die männlichen, eher grün die weiblichen Blüten, die ohne Stiele auskommen. Die Bestäubung übernimmt der Wind und die Fliegen. [2]
Baum der Lüfte. Lächerlich? Wo ist das Holz vom Baumstamm und den Ästen? Gibt es tatsächlich, das Holz der Mistel. Für tödliche Waffen durchaus hinreichend, wie die Sage beweist.
Unruhe ward unter den Göttern von Asgard, weil der helle, freundliche, immer frohgemute Balder geträumt hatte, dass er bald sterben müsse. Seiner Mutter Frigg ließ das keine Ruhe und so wanderte sie durch die Welt, um allen Wesen den Eid abzuzwingen: Dass sie dem Balder nicht schaden sollten.
Der listige Loki hörte natürlich davon und bekam in seiner üblichen Schnelligkeit von Frigg selbst heraus, dass sie nicht der Mistel diesen Eid abgenommen hatte. Die große Göttin des Frühjahrs und des aufkeimenden Lebens hatte sie schlicht übersehen.
Loki nahm vom Holz der Mistel und fertigte daraus einen scharfen Pfeil.
Die Götter machten sich, nachdem alle Wesen und Dinge (außer der Mistel eben) versprochen hatten, dem Balder nicht zu schaden, einen hoffärtigen Spaß daraus, das Schicksal herauszufordern und bewarfen und beschossen ihn mit Steinen, Speeren, Pfeilen usf. Nichts konnte ihm schaden und sie lachten froh ob dieses Beweises seiner Unverletzlichkeit. Trügerische Sicherheit, denn der Nornen Garn liebt nicht gezerrt zu werden.
Loki legte nun dem wie immer abseits stehenden Bruder des Balder, dem blinden Höder, dem Buckligen, dem Hässlichen, den Mistelpfeil auf den Bogen und in die Hand und überredete ihn, beim Spiele auch mitzutun und seinen Schuss zu tun. Der tat es nach Zögern endlich und Balder fiel getroffen tot hin.
In nachheidnischer Zeit hat man angeblich wenigstens Rosenkränze daraus geschnitzt.
Es gibt nicht nur das weißbeerige Mondgewächs unserer Breiten, noch mindestens 99 andere. In Südeuropa eine mit roten Beeren, die Ölbaum, Mandel und Edelkastanie besiedelt. Alle anderen in den „tropischen und subtropischen Zonen der Alten und Neuen Welt, vor allem in Afrika.“ [2] Diese haben prächtige Blüten in schreienden Farben. Da soll der Baum nach Party aussehen, wenn Misteln darauf blühen. [1, 100]
Schade, dass wir das nicht sehen können.
© 2010 für alle Inhalte bei federArgumentEuropa
Quellen und Wissenswertes:
Interessantes zur Mistel:
Ein vielseitiges Sammelsurium zum Thema sind die Mistletoe Pages, eine private Site von Jonathan Briggs aus Großbritannien. In der Weihnachtszeit sollen die Seiten hoch requentiert sein. Interessant sind die Abbildungen von Kunst- und Gebrauchsgegenständen im Misteldekor der Art Nouveau. link
In Büchern zu Mistel:
[1] Artikel Mistel (Viscum album) in: Erich Moritz Kronfeld, Der Weihnachtsbaum. Botanik u. Geschichte des Weihnachtsgrüns. Seine Beziehungen zum Volksglauben, Mythos, Kulturgeschichte, Sage, Sitte und Dichtung. Oldenburg und Leipzig 1906, 95-102
[2] Artikel Weiße Mistel in: Ulrich Hecker, Bäume und Sträucher. München 2006, 416-419
[3] Edmund Jacoby, Balders Tod. Die große Tragödie der Edda, in: ders., Mythen und Sagen des Nordens. Die keltische und germanische Überlieferung. Hildesheim 2007
[4] Hans Becker und Helga Schmoll, Mistel. Arzneipflanze. Brauchtum. Kunstmotiv im Jugendstil. Stuttgart 1986
Im Web zu Mistel:
[a] Josef Kahle, Viscum album. Site des Vereins zur Förderung der Gartenkultur e.V. Der zweite Link führt zu einer interessanten Fotoserie: vom "außeridischen" Mistelkeimling zur jungen Mistel in einem Apfelbaum. link1 link2