Interessantes zum Baum:
Besonders als Allee entfaltet sich diese besondere Heiterkeit mit Stil. Eingehüllt in nur zart grünstichiges Licht (kommt von den Blättern, durch die das Sonnenlicht scheint) bekommt man eine Ahnung, was das Wörtchen Kultur bedeuten möchte. Kennen Sie eine stattliche Platane oder sogar mehrere? Vermutlich würden Sie viel mehr von ihnen finden, wenn Sie sie suchen in Ihrer Stadt. Jedenfalls ging es uns so.
Was Sie wahrscheinlich finden werden, ist die sogenannte Ahornblättrige Platane und Sie werden sie vermutlich in Parks, entlang von Straßen und erstaunlicherweise auch auf dem Gelände von Kasernen antreffen. Oder in der Nähe von Kirchen. Sie erkennen diesen Baum an seinem hellen, fleckig gemusterten, ja tarnfarbenen Stamm, seinen großen, ganz speziell grünen Blätter, die wie der Name es ja sagt, von der Form her an solche vom Ahorn erinnern, an den lustigen Samenkugeln, die wie Christbaum-Dekoration von seinen Zweigen baumeln. Ein weiteres Kennzeichen der Platanen ist die breite, kugelförmige Krone, deren Äste und Zweige irgendwie schusselig und zu dicht erscheinen. Trotzdem: Die Platane ist und bleibt ein majestätischer Baum mit edler Ausstrahlung.
Obwohl der hierzulande anzutreffende Baum eigentlich ein Bastard ist. Und zwar einer, der von der Residue der einst in ganz Europa weit verbreiteten Art, der Orientalischen und der Neuweltlichen Platane abstammt. Vor 90 Millionen Jahren, so konnte anhand von fossilen Restchen von Grönland nachgewiesen werden, gab es viele Arten der Platane auf dem europäischen Kontinent, die dann während der Eiszeiten verschwanden. Nur im Balkangebiet überlebte eine Art, die sich unter anderem durch menschliche Pflanztätigkeit und nicht zuletzt Verehrung im Orient und in Asien verbreitete und über Italien wieder bis nach Mitteleuropa gelangte. Ihre Liebe zu Wärme und Wasser lässt sie allerdings nur an milden Orten gedeihen. Deutschland gehört tendenziell nicht dazu, obwohl es Ausnahmen gibt, die die Regel bestätigen. Der andere Elternteil kam von Nordamerikas Ostküste. Viele Baumarten, die durch die Eiszeiten aus Europa vertrieben worden waren, fand man in Spielarten in der Neuen Welt wieder. Beispiele sollen nur sein der Tulpenbaum, die Walnuss. Auch Platanen fand man an der Ostküste Nordamerikas. Sie heißen dort meistens Sycamore oder auch American Planetree, was natürlich Amerikanische Platane bedeutet. Für die Ureinwohner waren sie eine Quelle von Medizin, die bei Erkältungen, aber auch Haut- oder Verdauungsproblemen helfen konnte. Für die neuen Amerikaner war sie dann eher Holz (für Hackklötze von Metzgern oder für Möbel und Vertäfelung, und manchmal nur, weil schwierig zu bearbeiten, für feinere Dinge wie etwa Musikinstrumente) und heutzutage ein Baum an Straßen, in Parks und Gärten. Man sieht Platanen oft in amerikanischen Filmen und Serien, einfach mal darauf achten. Zu erkennen sind sie an ihrer tendenziell grau-braunen Borke, die mit Flecken durchsetzt ist und dem Stamm eine Anmutung von militärischer Tarnfärbung gibt. Die Blätter sind hellgrün und erinnern an Ahorn oder auch Weinlaub. Und dann sind da noch diese lustigen braunen Kugeln, die aus den Samen des Baums bestehen und wie Christbaumschmuck von den Zweigen hängen.
Selten sieht man hierzulande eine Orientalische Platane, so gut wie gar nie eine nordamerikanische. Was in unseren Landen in Gärten, Parks und Straßen wächst und oft sehr lange lebt, ist das Kind der beiden, die Ahornblättrige Platane, Bastard Platane, Gemeine Platane, Hybrid-Platane oder London-Platane heißen kann. Manchmal wird sie gekappt und geleitet und in eine Form gebracht, die die Bezeichnung Dach- oder Schirmplatane treffen möchte. Das gibt dann schönen Schatten, der zudem noch licht ist und deshalb dem Auge angenehm. Mama kam über Italien 1561 nach England, 1750 nach Frankreich. Papa entdeckte man 1640 in Nordamerika und verschleppte ihn nach England. Die Kreuzung war das Ergebnis genetischer Experimente in den botanischen Gärten von Oxford im 18ten Jahrhundert. Und im Gegensatz zu Mama war das Kind extrem frosthart. Platanen werden leicht 300 Jahre alt und sind dabei vital wie junge Schosse, auch wenn sie dann wie alte Drachen aussehen.
Die Herkunft des Namens Platane ist nicht geklärt, manchmal möchte man ihn auf platys für Griechisch "weit ausgebreitet", was die Gestalt des Baums mit mächtigen Stämmen und voluminösen Kronen beschreiben oder aber die jährlich in Platten ablösende Rinde thematisieren würde. Die Blätter sind - wie schon erwähnt - ähnlich denen des Ahorns geformt, 15 - 25 Zentimeter lang und breit, in der Regel also fünflappig, ausgewachsen die Oberseite glatt, auf der Unterseite behaart auf den Adern und in den Achseln. Die Blüte erscheint zeitig zeitgleich mit den Blättern, sie ist kugelförmig angeordnet und obwohl hübsch doch recht unscheinbar. Wenn man nicht richtig hinsieht. Die Samenkugeln überwintern am Baum und lösen sich im Spätwinter oder Frühjahr auf. Die einzelnen Nüsschen haben ähnlich dem Löwenzahn einen Flugschirm, der ihm erlaubt, mit dem Wind in ein neues Baumleben zu fliegen.
Der Baum wird 35 Meter hoch (oder höher) und wächst enorm schnell. Bei 60 bis 90 Zentimeter Zuwachs pro Jahr ist ein zeitiger Nutzholzertrag garantiert. Wenn man so denken mag. Der Stamm kann einen Durchmesser von mehreren Metern erreichen. Bereits ab geringer Stammhöhe setzen kräftige Äste an, die oft Knoten und Schwellungen bilden. Nichtsdestotrotz ist die Krone schön rund und meistens regelmäßig geformt.
Die Borke der Platane ist gelb, grün bis graubraun und schält sich jährlich in großen, unregelmäßigen Platten ab. Das geschieht oft nicht vollständig, so dass Borke von verschiedenen Jahren auf- und nebeneinander gegen die jüngste, hell gelbgrüne, oft fast weiße Borke ein ganz eigenes Muster zeigt, das wie die Tarnfärbung eines Panzers oder der Tarnanzug von Soldaten aussieht. Der Grund für dieses bei den Bäumen hierzulande nicht oft zu beobachtende Abwerfen der Rinde hat seinen Grund in der Art, wie bei Platanen das Wachstumsgewebe geformt ist sowie an ihrer Fähigkeit, bei extremer Witterung viel Wasser aufzunehmen. Bei Tage wird der Stamm dadurch etwas dünner, bei Nacht erreicht er wieder seinen normalen Umfang. Zudem erneuert der Baum seine komplette Borke im Rhythmus von drei Jahren. Dann lösen sich die zum Teil tellergroßen Borkenplatten nochmals deutlicher als sonst.
Platanenholz ähnelt dem der Buche stark hinsichtlich der Struktur, bei der Gefäße kaum erkennbar sind. Es ist hell im Splint und rot- bis dunkelbraun im Kern und wird gern zu Funier und zum Drechseln verwendet. Allerdings ist es schwer zu schneiden und zu spalten, reißt leicht und verschleißt auch schnell. Ihren Nutzen hat die hybride Platane besonders als Stadtbaum, mit dem man in wenigen Jahrzehnten mal eben eine Allee mit 20 bis 30 Metern großen Bäumen mit stattlichen Kronen versehen kann, die pflegeleicht und sehr, sehr städtisch wirken: positiv, dynamisch, leistungsstark, professionell.
Die Mama aus dem Orient stammte aus reichem Hause. Das klingt sogar noch bei Händel nach. Seine Oper Xerxes, handelnd über den gleichnamigen Perserkönig nimmt antike Darstellungen auf, nach denen eben dieser König eine Platane anschmachtet. Bei Händel in Ermangelung der eigentlichen Geliebten. Herodot war die Quelle des Librettisten Minalo, nach der der Perserkönig nach seinem Verlust bei Salamis in Lydien auf eine Platane stieß, in die er sich verknallte, sodass er sie mit Goldschmuck behängte und einen Pfleger für die Baumschönheit anstellte. Was für uns heute wie ein Spleen klingt (und für die Griechen damals auch schon so klang), weist vielleicht auf einen Sachverhalt hin, der im 21sten Jahrhundert, also tausende Jahre zu spät, nicht mehr rekonstruierbar ist. Nämlich, dass die Platane in sehr alter Zeit, und eben lange vor Xerxes schon und überdies als verblichener Kult noch, in Asien und bis ans Mittelmeer ein heiliger und ein Kultbaum war. Immerhin gibt es Reste davon. Und vielleicht schwingt immer noch etwas davon mit, wenn der urbane Raum diesen Baum liebt, wenn neben Kirchen Platanen gepflanzt wurden und werden.
Ein Grund für die Beliebtheit der Platane im warmen, oft heißen Asien war und ist vermutlich deren Fähigkeit geschuldet, um sich herum einen ganz eigenen, höchst angenehmen Raum zu schaffen, ein Mikroklima. Nicht vergessen, die Platane ist ein Baum der Flussufer, kann zwar auch anderswo gut gedeihen, aber Wasser nimmt sie doch in Mengen auf. Und gibt es auch wieder ab. So wie Bäume eben atmen. Dabei bietet der Raum, den die Platane öffnet, Flucht vor der Welt und Auseinandersetzung, ist fast das wiedergefundene Eden/Elysion oder anders für den, der diesen Raum erfährt. Die Ambivalenz von rauschhaftem Vergessensein und dem neuen Geist der forschenden Welt der Antike bringt zum Ausdruck ein Stück von Platon, dessen Name vielleicht nicht ganz zufällig dem des hier untersuchten Baums ähnlich klingt. Es ist die bezeugte physische Breite, die ihnen gemeinsam ist. Bei Platon die Brust, bei der Platane das Äquivalent aus Krone und Stamm.
In "Phaidros oder Über das Schöne" wird berichtet, wie der im Titel genannte Protagonist seinen Lehrer Sokrates zu einem Gespräch unter die große Platane am Fluss Bissos bittet. Sokrates angekommen, staunt. Größe, Atmosphäre, Schatten und Duft des blühenden Baums, eine nahe Quelle findet Sokrates bezaubernd. Statuen und Bilder werden erwähnt, die den Ort von Baum und Quelle als Nymphenheiligtum, eben das ein Kult der Alten, ausweist. Passt zum durchziehenden Gedanken.
Der Verwunderung Phaidros, warum und ob Sokrates denn nicht öfter unter diesem Baum weilen würde, begegnet der mit seiner Neugierde und Lernsucht: Auch wenn die Stadt staubig und heiß sei, und viel weniger anmutig als der Quellort unter der Platane, so lerne er von Menschen doch mehr als von Bäumen. Das scheint in der Vergangenheit lange vor Sokrates einmal anders gewesen zu sein. Da waren es vermutlich die heiligen Bäume, die mehr zu sagen hatten als die Menschen.
Elben haben tolle Baumhäuser, Hobbits wohnen bestimmt auch oft unter Bäumen, aber dann mehr in der Nähe des Bodens oder in ihm zwischen den Wurzeln. Im Märchen wohnen auch manchmal Leute im Baum, sogar im Baumstamm. Woher kommen diese Ideen? Zumindest Inspiration könnten die Dendriten und heiligen Männer gegeben haben, die auf, in und unter alten Platanen wohnten. Sicherlich nicht nur dem praktischen Umstand geschuldet, dass solche Altplatanen oft hohle Stämme bekommen, sondern auch ein bisschen in Erinnerung an alte und längst vergessene Kulte und Sitten. Wer weiß, wer weiß.
Während des Mittelalters gab es im christlichen Osten eine attraktive Asketenbewegung, deren Aspiranten manchmal Bäume zum Lebenszentrum erkoren. Da wird berichtet von orientalischen Dendriten, die ihr Leben lang nicht mehr (vom Baum) heruntergekommen seien, ähnlich wie Säulenheilige von ihrer Säule. Dann gibt es die Legende vom heiligen Adolas (oder Addas), der bei der syrischen Stadt Apamea am Fluss Orontes in einer hohlen Platane wohnte und den Kontakt zur Welt ausschließlich durch ein kleines Fenster aufrechterhielt. Aus diesem kam auch der Duft seiner Heiligkeit. Keine Ironie im vorhergehenden Satz, Heilige pupsen nicht.
Theophrast und Plinius berichteten über eine immergrüne Platane bei Gortyn auf Kreta. Der Legende nach soll Zeus dort Europa verführt haben. Folgen dieser Verbindung waren etwa die kretischen Könige Minos und Rhadamantys, rechte Mutanten der Sage nach. Sagenhaft auch hier die Platanen: Normalerweise werfen diese Bäume ihre Blätter ab, Exemplare, die dies nicht tun, gibt es, sie sind selten. Im Jahre 1980 waren 29 solche Exemplare weltweit bezeugt.
Eine solche Platane war Schuld an der Gründung der Stadt Smyrna, wie die Sage erzählt. Nach anstrengender Jagd im Pagos-Gebirge sei Alexander der Große unter einer Platane eingeschlafen. Die Platane war nun zufällig zweien der Rachegöttinnen geweiht gewesen, die dem Alexander im Traum erschienen und ihn aufgefordert hätten, an ebendieser Statt der Ruhe die Stadt zu gründen. Die Bewohner eines Alt-Smyrna zogen nach Neu-Smyrna um.
© 1/2020 für alle Inhalte bei federArgumentEuropa
Quellen und Wissenswertes:
In Büchern zu Platane:
[1] Artikel zu Ahornblättrige Platane in: Ulrich Hecker, Bäume und Sträucher. München 2006, S. 178 f.
[2] Artikel zu Platane in: Victor Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere. 9te, unveränderte Auflage Berlin 1963, S. 294 bis 301
[3] Alexander Demandt, Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte. Düsseldorf 2005
[4] Helmut Naumann, Die Platane von Gortyna. In: Thomas Richard Kämmerer [Hg.], Studien zu Ritual und Sozialgeschichte im Alten Orient. Berlin 2008, S. 207 bis 225
Im Web zu Platane:
[a] Barbara Lawatsch, Gewöhnliche Platane. Pflanze des Monats auf der Site des Botanischen Gartens Wuppertal link
[b] englische wikipedia: Artikel zu Platanus occidentalis link
[c] wikipedia: Artikel zu Morgenländische Platane link
[d] Thomas de Padova, Warum verlieren Platanen ihre Borke? Der Tagesspiegel online vom 21. Mai 2008 link
[e] Heidi Pohle, Starker Abwurf von Borke. Den Platanen wird ihr Kleid zu eng. Mitteldeutsche Zeitung online vom 29. Juli 2003 link
[f] englische wikipedia: Artikel zu Platanus orientalis link