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Interessantes zum Baum:

Giftiger Drehwurm

Nutz und Schutz und Rotkehlchens Delight

Eher graugrüne Maus und ziemlich unscheinbar über den Sommer fällt dieser Strauch hübscher Gestalt oft erst in Herbst und Winter auf, wenn seine Früchtchen in leuchtenden Rosa- und Orangetönen prangen. Bei den hierzulande heimischen Sorten sind diese Fruchtapparate recht eigentümlich konstruiert, sie sehen fast aus wie, ja, Kopfbedeckungen kirchlicher Würdenträger. Und schon hat der Strauch seinen ersten Namen abbekommen. Pfaffenhütchen, Name eins.

Blüte des SpindelstrauchsDie Blüte des Spindelstrauchs ist recht unscheinbar und grünlich weiß. Ihr sieht man die spätere Farbexplosion in Pink und Orange nicht an. Theophrast meinte, die Blüte dufte nach Mord.

In diesem heutzutage meistens der Analogie der Frucht nach benannten Flurgehölz verbinden sich Schmuck und Nutzen, wenn auch nicht in dem Maße wie einst. Zur Verschönerung von Parks und Gärten pflanzt man Pfaffenhütchen gern, weil diese Sträucher so schön bunt leuchten in Herbst und Winter, wenn all der Blumen Pracht verschwunden ist. Es gibt für diesen Zweck rechte Hochleistungsvarianten mit asiatischer Einkreuzung, denen auch die Blätter feuerrot geraten und die außerdem gut in Form geschnitten werden können. Ein wohl willkommener Nebeneffekt ist die Tatsache, dass etliche Vögel, darunter Drosseln, Elstern, Rotkehlchen, Teile des Fruchtkörpers gern verspeisen. Woraus sich übrigens ein zweiter Name für das Gesträuch herleitet: Rotkehlchenbrot, Name zwei.

Fruchtkapsel im SommerIm Laufe des Sommers bilden sich die vierlappigen Kapseln. Da sieht man, warum einer der Namen des Strauchs Pfaffenhütchen lautet. Die Kapsel erinnert in der Tat in Form und Farbe an das Birett der Kardinäle.

Eine andere Nützlichkeit, die heute auch noch anerkannt ist, gebiert keinen weiteren Namen, der in diesem Fall so etwas wie Befestigungskraut bedeuten müsste. Pfaffenhütchen alias Rotkehlchenbrot ist ein ideales Flurgehölz, wenn es darum geht, Erosion zu stoppen oder zu verhindern, Ufer und Böschungen zu sanieren. In dieser Funktion wird man die ausdauernde und wenig anspruchsvolle Pflanze an den Ufern und Hängen renaturierter Wasserläufe und Wasserflächen finden. Und sie passt dort auch überall hin, denn sie mag feuchte Böden in Auwäldern fast genauso wie trockene, warme Sommer. Da die Vögel die Saat verbreiten, ist das Pfaffenhütchen und auch ob seines wenig anspruchsvollen Charakters einer der häufigsten heimischen Sträucher in Laubmisch- und Auwäldern, an Waldrändern, in Gebüschen, an Zäunen, Feldrainen und Wegen. Wobei gilt: Ist der Boden kalkreich und tendenziell trocken, blüht der Busch viel reicher und hat dann im Herbst entsprechend mehr leuchtend farbige Früchte.

Leere Kapseln im HerbstWillkommene Farbigkeit bietet der Spindelstrauch besonders dann, wenn schon keine Blume mehr blühen mag. Selbst nachdem der orange Same entfernt, herausgefallen oder gefressen wurde, schmücken Laub und Samenkapseln den Busch noch bis in den späten Winter.
Junger SpindelstrauchMit Hilfe der Vögel, die den Samen von seiner fleischigen Hülle befreien und zu Boden fallen lassen, verbreitet sich das Pfaffenhütchen. Hat es einmal Fuß gefasst, kann es dank seines filzigen Wurzelwerks und der Fähigkeit Nebentriebe sprießen zu lassen, schnell sonnige Areale besiedeln.
Stamm SpindelstrauchEs braucht Zeit bis ein Spindelstrauch hochgewachsen ist und Holz entwickelt. Und selbst dann reicht es nur für kleines Werkzeug, kleine Drechseleien, Stricknadeln, Handspindeln.
SpindelbüscheAufrecht und dicht verzweigt wachsen Spindelbüsche zu attraktiven und nützlichen Kleingehölzen heran. Die Farben locken, aber vorsichtig: Die Pflanze ist sehr giftig.
SpindelbüscheSchmuck auch noch im Winter. Eine Zierde für jeden Garten.

Mordsgeruch

Was dem Vogel mundet, bekommt nicht unbedingt dem Menschen. Das gilt bei vielen Arten fruchttragender Sträucher, so auch hier. Sogar mit einer Warnung. Die lustigen Hüte in Kardinalsfarben sind hochgiftig. Es sind Warnfarben, nur für die Vögel sind es Lockfarben. Neben Bitterstoffen, die lediglich die Entleerung oben und unten zugleich herbeizuführen vermögen, enthält der Strauch Glykoside und Alkaloide, die den Herzmuskel, den Kreislauf irreparabel schädigen und sogar zu einem Kollaps führen können. 35 der bunten, smarten Käppchen, so sagt man, sind letal. Dies gilt nicht nur für törichte und alles in den Mund befördernde Menschen, sondern auch für neugierige Ziegen und sogar größere Weidetiere. Auch sie können an den Folgen des Gifts sterben.

Das Todbringende des Pfaffenhütchens wollte die Antike nicht ausgeprochen hören. Man nannte es Euonymos, zu deutsch etwa "gut benamt". Ein Euphemismus, der den Dämon auf Abstand halten sollte. So machte man das dazumal: Das Böse nicht rufen. Theophrast meinte sogar, die Blüte, lange vor der Frucht, dufte nach Mord. Wie riecht der?

Meistenteils Bescheidenheit

Sucht man nicht und ist nicht damit vertraut, fällt der zwei bis sechs Meter hohe Busch oder Kleinbaum mit der grauen, längsrissigen, oft mit Flechten und Moosen bedeckten Rinde kaum auf. Das Laub an den stark verzweigten Ästen und Zweigen ist gräulich grün, die Blüten weiß mit einem grünlichen Ton. Erst zur Herbstzeit, wenn das Laub sich dunkel und rötlich färbt erscheinen die Früchte in ihren auffälligen Warn- bzw. Lockfarben in Rosa und Orange.

Konstruktivistisch

Die Frucht des Pfaffenhütchens entwickelt sich aus einer Blüte, die mit dem Laub erscheint. Es handelt sich dabei um eine zwittrige, meistens vierzählige Trugdolde, die ihrerseits zwei bis neun Blütchen trägt. Die Flügel der Trugdolde sind leicht grünlich weiß. Die Blüten werden vor allem von Fliegen bestäubt. Die Frucht wird dem Blütenapparat entsprechend eine vierfächrige Kapsel. Sobald sie sich öffnet, hängen die Samen am verlängerten Stielchen nach unten heraus. Die Vögel futtern diese Frucht nicht komplett, sondern schälen den Samenmantel ab. Dabei fällt der eigentliche Same zu Boden. Auftrag erfüllt.

Drehwurm

Bevor das Plastik erfunden wurde, gab es als Allround-Wundermaterial nur Holz. Für viele Werkzeuge brauchte man geschmeidiges, dichtes Holz, am besten knochenhart. Der Pfaffenhütchenbusch hat solches Holz in seinem Stamm. Und von daher rührt ein anderer Name für ihn her: Spindelbaum. Eine Spindel ist, das erlauben wir uns zu erklären für die neu Hinzugekommenen, ein Gerät zum Herstellen von Faden aus Rohfaser. Diese wird mehr oder weniger stark zusammengedreht. Eine Handspindel ist das einfachste Gerät dafür. Sie besteht aus einem Spindelstab und einem Wirtel, was der Name für das Rotationsgewicht am unteren Ende der Spindel ist. Durch den Wirtel bekommt die Spindel ihren Dreh, mit dem der Faden gesponnen wird.

Handspindeln sind die ältesten Spinnwerkzeuge und mittels ihrer lässt sich das hochwertigste Garn gewinnen. Es ist dem von Spinnrädern oder Spinnmaschinen etwa so überlegen wie die Handnaht der Maschinennaht. Von der Jungsteinzeit bis ins 13te Jahrhundert und regional weit darüber hinaus gehört in jeden Haushalt die Handspindel. Mit ihr wurde das Garn für alle Stoffe gefertigt. Garn von Spinnrädern, die aus dem Orient kommend seit Ende des 12ten Jahrhunderts in Europa verfügbar waren, galt bis ins 15te und 16te Jahrhundert als zu schwach, zu ungleichmäßig, als ungenügend gezwirnt und zu knotig und war vielerorts sogar verboten.

An das Holz für die Stäbe der Handspindeln jedenfalls stellte man hohe Ansprüche. Sicher gab es einen Grund, warum ausgerechnet das Holz des Pfaffenhütchens dem Strauch seinen Namen verlieh.

Verwandtschaft

Es ist kaum denkbar, dass ein in Europa weit verbreiteter Strauch nicht auch Verwandte in anderen Teilen der Welt hat. Tatsächlich gibt es 175 Arten, die fast überall auf der Welt, insbesondere in der Himalayaregion und Ostasien, zu finden sind. Nur nicht in Afrika. In Europa findet man nur drei Arten, Euonymus europaea, E. latifolia (breitblättrig), E. verrucosa (warzig). Im Garten und Park sieht man gern das breitblättrige Pfaffenhütchen, weil es eine schöne Laubfärbung zeigt. Inzwischen bekannter sind aber Euonymus japonica, ein bis acht Meter hoher Strauch, von dem es viele buntblättrige Sorten gibt und Euonymus alata, der sogenannte Flügelspindelstrauch mit markanten Korkleisten an den Zweigen und geringerer Wuchshöhe.

Das warzige Pfaffenhütchen hält übrigens einen weiteren Nutzen bereit, wofür es etwa im Altai-Gebirge eigens angepflanzt wird. Aus seinen Wurzeln lässt sich Guttapercha, eine hochwertige Gummiart gewinnen.

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Quellen und Wissenswertes:

In Büchern zu Spindelstrauch, Pfaffenhütchen:

[1] Artikel Pfaffenhütchen in: Ulrich Hecker, Bäume und Sträucher. S. 410 bis 415

[2] Artikel Paffenhütchen in: Friedhelm Sauerhoff, Pflanzennamen im Vergleich. Studien zur Benennungstheorie und Etymologie. Stuttgart 2001, S. 194 bis 196

[3] Abschnitt Garnherstellung im Mittelalter in: Doris Fischer, Mittelalter selbst erleben! Kleidung, Spiel und Speisen - selbst gemacht und ausprobiert. Stuttgart 2010, 52 bis 56

Im Web zu zu Spindelstrauch, Pfaffenhütchen:

[a] Orgelpfeifen und Insektenpulver. Das Pfaffenhütchen ist "Giftpflanze des Jahres 2006". Nabu-Site vom 13. März 2006 link

[b] wikipedia: Artikel zu Gewöhnlicher Spindelstrauch link

[c] wikipedia: Artikel zu Flügel-Spindelstrauch link

[d] wikipedia: Artikel zu Handspindel link

[e]wikipedia: Artikel zu Spinnrad link

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